Wachkoma

„Das muss man aushalten können“

Im Haus Christophorus in Köln pflegen die Alexianer Menschen in reaktionsloser Wachheit.

Die Pflege von Menschen in reaktionsloser Wachheit (Wachkoma) ist eine herausfordernde Arbeit, die Angehörige entlastet und für Elke Feuster zur Lebensaufgabe geworden ist.

Ein Mann, der mit einem Stab durch Wellen geht. Ein Kind, das er auf dem Arm trägt – leicht als Jesus identifizierbar. Der schlichte Fassadenschmuck über dem Eingang des Christophorus-Hauses in Köln-Porz ist das Einzige, was von außen daran erinnert, wie sehr die Bewohnerinnen und Bewohner auf einen Schutzpatron angewiesen sind. Sie können nicht sprechen und sich auch nicht bewegen. Sie liegen in Betten und Rollstühlen, und das seit mitunter langer Zeit.

Der Fachbegriff dazu lautet „Menschen in reaktionsloser Wachheit“. Früher hätte man „Wachkoma“ gesagt. „Aber das trifft es nicht richtig“, sagt Elke Feuster, die Leiterin der Alexianer-Pflegeeinrichtungen in Köln. Ohne das Christophorus-Haus müssten die 24 Menschen, die im Haus leben, in Krankenhäusern und Pflegeheimen versorgt werden, die auf ihre Bedürfnisse kaum eingestellt sind – oder eben daheim, von ihren Familien und Intensivpflegerinnen und -pflegern.

Die Herausforderung kann man sich vorstellen. Und dann auch wieder nicht – denn es übersteigt ja bereits die Vorstellungskraft, wie schnell sich ein Mensch in einer solchen Lage befinden kann. Eine Operation, aus der man nicht mehr erwacht, ein Blitzschlag, ein Schlaganfall, eine etwas zu lang andauernde Wiederbelebung nach einem Unfall. „Seit ich hier arbeite, verabschiede ich mich morgens anders von meiner Familie als früher“, sagt Elke Feuster. Bei ihrem ersten Patienten in reaktionsloser Wachheit im Jahr 1998 war beim Fahrradfahren eine Ader im Gehirn geplatzt. Einfach so.

Die Idee einer spezialisierten Einrichtung stieß auf offene Ohren

Elke Feuster leitete damals eine „normale“ Pflegeeinrichtung. Sie erlebte, wie ihre Pflegeeinrichtung dem Mann, der in die reaktionslose Wachheit gefallen war, gerecht zu werden versuchte und doch an Grenzen geriet. Es gab einen zweiten Fall, einen dritten, und schließlich schlug sie den Alexianerbrüdern in Köln die Gründung einer eigenen Einrichtung vor. Sie stieß auf offene Ohren. Bei der Eröffnung 2004 war das Christophorus-Haus eines der ersten auf Menschen in reaktionsloser Wachheit spezialisierte Haus in Nordrhein-Westfalen.

Der Fahrradfahrer lebt auch jetzt noch dort. Er feierte hier sogar seine goldene Hochzeit, über die die Regionalzeitung unter dem Titel „Kölns größte Liebe“ berichtete. Es ist ein Mann, der regungslos in einem Bett liegt. Und doch kann man davon ausgehen, dass er weiterhin vieles von dem mitbekommt, was um ihn herum geschieht.

„Unter den 130 Patientinnen und Patienten, die wir seit der Eröffnung im Haus hatten, sind auch Menschen, die hier liegend ankamen und heute in einer Werkstatt arbeiten können“, sagt Feuster. Auf dem Flur ist zu hören, wie Logopädinnen und Logopäden das Zimmer eines Bewohners ansteuern, auch Ergo- und Musiktherapeuten und -therapeutinnen gehen von einem Zimmer zum nächsten. „Aber oft geht es bei den Therapien erst einmal darum, überhaupt Reaktionen hervorzurufen.“

Sie führt uns herum: Auf einer Fotowand sind Bilder eines Rollstuhlausflugs an den Rhein zu sehen. In einem Regal liegt ein Kinderbuch, das für Kinder von Angehörigen gedacht ist; es heißt „Papas Unfall“. An einer Wand hängen Einladungen zu einem Musikkreis und zu Musikfilmen – für Angehörige, Patientinnen und Patienten. „Natürlich geht es hier auch um die Angehörigen“, sagt Elke Feuster, als sie unseren Blick auf diese Dinge bemerkt. „Die Leute fallen in ein Loch, wenn ihr Partner, ihre Partnerin oder Familienangehörige aus dem Leben fällt. Sie leiden psychisch und finanziell, und werden oft allein gelassen.“

Nimmt sie das mit? Elke Feuster ist eine fröhliche Rheinländerin. Aber sie engagiert sich nicht ohne Grund in der „Landesarbeitsgemeinschaft für Menschen mit erworbenem Hirnschaden“. Und sie schiebt auch nicht ohne Grund ständig neue Projekte an, wo sie einen entsprechenden Bedarf ausgemacht hat: Dass es bei den Alexianern auch Heimplätze für junge Patientinnen und Patienten gibt, die das Haus Christophorus verlassen müssen, weil sie keine Beatmung über Trachealkanüle mehr brauchen, geht ebenso auf ihre Anregung zurück wie eine Beratungsstelle für Angehörige in der Kölner Innenstadt oder die Gründung einer Werkstatt für Menschen mit erworbenen Hirnschäden.

Diese Werkstatt befindet sich nicht weit vom Haus entfernt. Sie ist natürlich nicht nur für Patientinnen und Patienten gedacht, die mithilfe ihrer Therapeutinnen und Therapeuten aus dem Zustand der„reaktionslosen Wachheit“ herauskamen. Sie hilft vielmehr ganz generell Menschen mit erworbenen Hirnschäden, die ohne die 2011 eröffnete Einrichtung lediglich die Wahl hätten, eine Werkstatt für geistig oder psychisch behinderte Menschen aufzusuchen. Die Hemmschwelle, dort zu arbeiten, ist oftmals sehr hoch. „Die meisten hier“, sagt Werkstattleiter Stefan Strabelzi, „fühlen sich nicht behindert, sondern zum Beispiel als ehemalige Schlaganfallpatienten – mit einer Vita wie Sie und ich sie haben.“ Einige von ihnen brauchen für einfache Sortierarbeiten eine Assistenz, andere kommen gut mit Montage- und Verpackungsarbeiten zurecht. Heute etwa werden in Wachs getränkte Maiskolben als Grillanzünder verpackt.

Strabelzi versucht seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so einzusetzen, dass es noch halbwegs zu deren Vorleben passt. Ehemalige Handwerker oder Handwerkerinnen betraut er mit Schreinerarbeiten, Personen, die früher im Büro arbeiteten, mit Versandarbeiten und Mailingaufträgen. Aber selbst wenn es nicht passt: Die über einhundert Menschen, die in der Werkstatt tätig sind, bekommen über die Tätigkeit wieder Zugang zu einer Gemeinschaft und einer Tagesstruktur. Das ist für sie von großer Bedeutung. Und ab und zu gelingt es Strabelzi sogar, einen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin weiterzuvermitteln, an einen Baumarkt zum Beispiel oder einen Mittelständler aus der Region.

Zurück im Haus Christophorus will Elke Feuster uns noch ein Zimmer zeigen, in dem ein Hausbewohner liegt. Eingerichtet ist es überraschend persönlich: Fotos, Fernseher, private Andenken. Der Mann, dem sie gehören, liegt indes regungslos im Bett. Er kann nicht reden, sein Blick geht an die Decke, sein Mund ist geöffnet und Elke Feuster sagt, als sie die Ratlosigkeit und die zögerlichen Schritte des Besuchers bemerkt: „Das muss man aushalten können. Aber wer hier arbeitet, hat sich fest dafür entschieden.“ Dass sich die Alexianer beim Neubau eines Hauses für außerklinische Intensivpflege in Münster auch Feusters Beratung einholten, versteht sich von selbst.


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