Christliche Ethik

Haltung zeigen

Interview mit Dr. Ralf Schupp, Leiter des Referates Christliche Ethik/Leitbild/Spiritualität

Als katholischer Gesundheitsträger sind wir einem christlichen Wertekanon verpflichtet. Die ethische Orientierung der Alexianer antwortet auf die komplexen Fragestellungen unserer Zeit und möchte ein Kompass bei Konflikten sein.

Das Gesundheitswesen hat sich in den letzten Jahren rasant verändert. Mit den neuen Möglichkeiten bei der Behandlung unserer Patientinnen und Patienten entsteht aber auch eine neue Verantwortung, die von der Psychiatrie bis zur Palliativmedizin alle Arbeitsbereiche berührt. Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte, aber auch Patientinnen und Patienten sowie deren Angehörige stehen täglich vor neuen Herausforderungen und Entscheidungen. Deshalb befassen wir uns in unseren Einrichtungen intensiv mit ethischen Fragen und suchen nach verantwortungsvollen Lösungen. Als Leiter des Referates Christliche Ethik/Leitbild/Spiritualität beschäftigt sich Dr. Ralf Schupp mit den ethischen Herausforderungen unserer Arbeit.

Herr Dr. Schupp, Sie beschäftigen sich mit ethischen Fragestellungen in der Pflege. Wann steht zum Beispiel eine Pflegerin bei ihrer täglichen Arbeit vor ethischen Problemen?

Das beginnt schon bei der Frage, wie sie ihre Zeit einteilen soll. Wir haben in Deutschland einen Pflegenotstand zu beklagen, und die Arbeitszeit des Pflegepersonals wird auch bei den Alexianern immer dichter. Es ist also nicht so, dass eine Pflegekraft so viel Zeit für einen Patienten aufbringen kann, wie sie es vielleicht möchte. Stattdessen muss sie mit ihrer Zeit haushalten, und dabei gerät sie unter Umständen in Konflikte.

Kann man sagen, dass ethische Fragestellungen immer da auftreten, wo Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Zielkonflikte geraten, die sie persönlich nicht mehr lösen können?

Das ist oft der Fall. Im Arbeitsalltag der Alexianer treffen prinzipiell zwei Denkweisen aufeinander: die Logik der Pflege- und Heilberufe und die Logik eines Unternehmens, das wirtschaftlichen Rahmenbedingungen unterliegt. Nicht alle Arbeitsbereiche lassen sich ökonomisch gleichermaßen erfassen. Eine Knie-OP ist kein Autokauf. Daneben geht es immer auch um Beratung, Vertrauen und Fürsorge. Gerade diese Aspekte lassen sich häufig nicht in die betriebswirtschaftliche Logik eingliedern, ohne dass es zu Spannungen kommt.

Inwiefern müssen sich Patientinnen und Patienten oder deren Angehörige mit ethischen Fragen beschäftigen?

Diese Fragen werden vor allem dann dringlich, wenn Menschen in ihrer Entscheidungsfähigkeit eingeschränkt sind und nicht mehr vollständig selbstbestimmt agieren können. Bei der Arbeit mit Hochbetagten im Krankenhaus stellt sich etwa die Frage, ob lebensverlängernde Maßnahmen eingesetzt werden sollen, ob man bestimmte Eingriffe noch durchführen sollte oder lieber nicht. Im Umgang mit demenziell erkrankten Personen stellt sich die Frage nach dem Respekt vor ihrer Würde und Autonomie. Ethische Fragen stellen sich in allen Tätigkeitsfeldern der Alexianer. Nicht nur in Krankenhäusern, sondern auch in Werkstätten, der Kinder- und Jugendhilfe, der Seniorenhilfe.

„Bei den Alexianern arbeiten Menschen aus allen Religionen miteinander. Was sie verbindet ist ihr Ethos – also ihre Haltung zum Menschen und ihre Werte.“

Dr. Ralf Schupp, Leiter des Referats
Christliche Ethik/Leitbild/Spiritualität

Und wo setzt die Ethik hier an?

Zum einen geht es natürlich darum, das Richtige zu tun. Da gibt es Prinzipien der Medizin- und Pflegeethik, die sich bewährt haben und die man im konkreten Fall abwägen muss: das Prinzip der Autonomie, der Fürsorge, des Nichtschadens und der Gerechtigkeit. Davon abgesehen geht es aber auch darum, dass man weiß, warum man etwas macht. Die ethischen Fragen, die sich in unserem Arbeitsalltag stellen, fangen ja nicht mit einer theoretischen Auseinandersetzung an, sie beginnen oft mit einem Bauchgefühl, einer moralischen Intuition. Die Ethik kann helfen, aus dieser Gefühlslage heraus zu einem begründeten Urteil zu finden.

Sie haben eben schon den ökonomischen Druck angesprochen, unter dem Krankenhäuser, Psychiatrien und zunehmend auch die Eingliederungshilfe heute stehen. Was tut man bei den Alexianern dafür, dass die ethischen Fragen nicht im Controlling untergehen?

Info

CHARTA

Die Charta der Compassio ist eine ethische Hilfestellung mit Handlungsempfehlungen. Mithilfe der Charta möchten wir die Inhalte unseres Leitbildes mit dem konkreten Arbeitsalltag verbinden.

 


Zum einen gewährleisten wir das durch die Entwicklung einer Charta, die ja gewissermaßen ein ethisches Programm ist. Zum anderen sind wir gerade dabei, auch auf der Ebene der Holding ein Ethikkomitee zu installieren. Damit sollen die ethischen Beratungsstrukturen, die wir in den Regionen etabliert haben, auch auf dieser übergeordneten Ebene implementiert werden. Hier könnte man Themen mit einem größeren Horizont angehen: Wie wollen wir mit der zunehmenden Digitalisierung des Klinikalltags umgehen? Wie stehen wir zur Sterbehilfe und dem Sterbenlassen? Hier sollten wir als Alexianer unsere Haltung in Handlungen übersetzen.

Werte sind immer auch kulturell bedingt – der Arbeitsalltag der Alexianer ist allerdings zunehmend interkulturell geprägt. Wie geht man mit den Bedürfnissen von Menschen anderer Kulturen um?

Wir haben vor zwei Jahren damit begonnen, uns als Alexianer mit dem Feld der Interkulturalität zu beschäftigen, das wird in den nächsten Jahren immer wichtiger werden. Das betrifft zum einen den Umgang mit Patientinnen oder Klienten, die andere kulturelle Hintergründe haben. Es betrifft aber auch die Mitarbeitenden selbst, da wir zunehmend Menschen mit Migrationshintergrund beschäftigen.

Muss man der christlichen Religion angehören, um die christliche Ethik zu teilen?

Der Glaube spielt für die Ethik zwar eine wichtige Rolle, kann aber nicht eins zu eins in die Moral übersetzt werden. Letztendlich spielen auch die Vernunft und die naturwissenschaftliche Erkenntnis eine große Rolle. Damit sind christliche ethische Überzeugungen also auch für Menschen einsichtig, die keine Christen sind oder keiner Religion angehören. Das ist für unseren Alltag entscheidend, denn bei den Alexianern arbeiten Menschen aus allen Religionen und vielen Kulturkreisenmiteinander. Was sie verbindet, ist ihr Ethos – also ihre Haltung zum Menschen und ihre Werte. Das ist unser Anspruch.

Nächstenliebe und Verantwortung

Wir fühlen uns den christlichen Werten verpflichtet. Sie bilden die Grundlage unseres Handelns in allen Einrichtungen und Diensten.
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Die Alexianer blicken auf eine Tradition zurück, die bis ins Mittelalter zurückreicht. Gibt es ein unsichtbares Band, das den Mönch, der Pestkranke und Ausgeschlossene betreute, mit der Pflegekraft verbindet, die heute am Krankenbett steht?

Der Antrieb der ersten Brüder war das Mitgefühl mit Notleidenden, das bei ihnen dem christlichen Glauben entsprang. Ich denke, alle, die sich bei uns engagieren, handeln aus einem ähnlichen Impuls, wir können es vielleicht Nächstenliebe nennen. Auch hier muss man wieder betonen, dass die Sorge um die Nächsten nichts exklusiv christliches ist: Solidarität mit den Schwachen findet man in vielen Kulturen und Religionen. Das menschliche Miteinander lebt davon, dass sich Menschen von der Not anderer ansprechen lassen.


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