Die Pandemie hat Familien in besonderer Weise belastet. Eltern mussten plötzlich Kitabetreuung und Homeschooling übernehmen, im Homeoffice arbeiten und auf bewährte Hilfen verzichten. In der Klinik wurde gleichzeitig ein veränderter Drogenkonsum wahrgenommen. Dr. med. Ute Keller, Leitende Oberärztin der Klinik für Suchtmedizin und stellvertretende Chefärztin des Alexianer St. Joseph-Krankenhauses Berlin-Weißensee, berichtet über die besorgniserregende Situation.
Während der Corona-Pandemie hat der weltweite Drogenkonsum, wie das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) in seinem Weltdrogenbericht 2021 feststellt, weiter zugenommen. So konsumierten im vergangenen Jahr 275 Millionen Menschen Drogen, 2018 waren es noch 269 Millionen. Insbesondere der Handel mit Kokain floriere.
Drogenkonsum hat sich verlagert
Vor der Pandemie, so berichtet die Suchtmedizinerin Dr. med. Ute Keller, sei Kokain oft im Kontext der Berliner Partyszene aufgetreten. Abends und am Wochenende, oftmals über lange Zeit auch kontrolliert. Spätestens mit dem zweiten Lockdown seien auch Mütter, Väter, Alleinerziehende hinzugekommen, und auch bei den vorab kontrolliert Konsumierenden sei die Situation immer öfter außer Kontrolle geraten.
Während man sich bisher zum Feiern verabredete und ausging, habe sich der Konsum nun in das häusliche Umfeld verlagert. Sogenannte Koks-Taxis seien zudem ein „verlässlicher Lieferdienst“ gewesen.
„In vielen Familien waren nun plötzlich auch die Kinder involviert und manchmal sogar die Initiatoren dafür, dass Eltern sich helfen ließen. In anderen Fällen wurde von Nachbarn oder aus dem Umfeld das Jugendamt eingeschaltet, da Kindeswohlgefährdung drohte“, beschreibt die Medizinerin die Lage.
Wege in die Genesung
„Meist kommen die Patienten intoxikiert und müssen entgiften", sagt Keller. Der Entzug erfolge medikamentös, damit die Patienten ihn möglichst gut verkraften. Begleitend zum langsamen Ausschleichen der Medikation finden Beratungs- und Gesprächsangebote statt, um die Ursachen des Missbrauchs zu klären und den Patienten Hilfestellung zur Lösung ihrer Probleme zu geben. „Wir sind sehr darum bemüht, Wege in Richtung Abstinenz aufzuzeigen, die auch in der Pandemie offenstehen.“
Im Schnitt bleiben die Patienten zwei bis drei Wochen in der Klinik. „Dazu war es wichtig, dass auch die Suchtbetten während der Pandemie durchgehend zur Verfügung standen und weiterführende Therapien, wie beispielsweise die rehabilitative Entwöhnungsbehandlung, vermittelt werden konnten.“
Hoher gesellschaftlicher Druck und Lifestyle
Dass Kokain zu einer ständig und leicht verfügbaren Lifestyle-Droge geworden sei, sieht die Ärztin als Antwort auf den gesellschaftlichen Druck, den es natürlich auch schon vor 2020 gegeben habe. „Die Pandemie hat uns lediglich mit Nachdruck einen Spiegel vorgehalten, in den wir auch zuvor nicht haben schauen wollen.“ Hier liegt, laut der Suchtmedizinerin, nun die Chance, im Weiteren nicht nur die Folgen der Pandemie, sondern auch die Probleme des steigenden und sich veränderten Drogenkonsums intensiv aufzuarbeiten.